Momentaufnahme Februar

Honigbiene – Haustier, Nutztier oder Wildtier?

Bei Gesprächen über Bienen tritt immer wieder einmal die These auf, dass Honigbienen ja eigentlich Haustiere seien. Aber ist das wirklich so, oder stecken noch ganz andere Aspekte in dieser Frage? Das ist Anlass genug, dieses Thema etwas näher zu beleuchten. Denn schon eine Veränderung des Blickwinkels kann interessierten Lesern, Naturliebhabern, Honigverbrauchern aber auch uns Imkern eine ganz neue Sicht auf die Bienen ermöglichen. Der Februar gibt dafür einen guten Rahmen, denn im Winter ist an den Bienen fast nichts zu tun. Vielmehr kann für den Imker Winterzeit auch Denk-Zeit sein.

Bild 1: Amsel und Drossel kämpfen um die letzten Äpfel in der Streuobstwiese

Das Bild, in dem Amsel und Drossel um die letzten Äpfel kämpfen, macht eines deutlich: Diese Vögel leben – wie alle Wild-Tiere – von dem, was sie gerade finden. Das betrifft Nahrung, Nistmöglichkeit, Fortpflanzung etc. in gleicher Weise. Ebenso sind die verschiedenen Lebensphasen meistens streng an den Wechsel der Jahreszeiten angepasst. Wir Menschen haben auf den „ersten Blick“ keinen Einfluss auf den Lebenszyklus von Wildtieren.

Den Gegenpol dazu bilden die Haus-Tiere. Als Haustier bezeichnet man einerseits Tiere, welche tatsächlich in einem Haus oder Haushalt direkt an der Seite des Menschen leben. Jedoch auch landwirtschaftliche Nutz-Tiere, wie z. B. Rinder, Schweine, Schafe oder Hühner, welche seit Jahrhunderten in großer Zahl von Menschen gehalten werden, zählen zu den Haus-Tieren. Denn die Hauskatze als eine „im Haus lebende Katze“ und eine Kuh als „landwirtschaftliches Nutztier“ haben eines gemeinsam: Sie sind in ihrem Dasein vollständig vom Menschen abhängig: Fütterung, Vermehrung, Zucht, Auslese – die Haltung der Tiere ganz allgemein wird vom Menschen zu 100% gesteuert und ist völlig unabhängig von den Jahreszeiten möglich.

Bild 2: Mutterkuhherde auf der Weide

Und wo stehen unsere Honigbienen?

Auch sie sehen wir zunächst als Haustiere im Sinne von Nutz-Tieren. Denn schon vor langer Zeit hat der Mensch den besonderen Wert der Immen, wie Bienen auch bezeichnet werden, zu schätzen gelernt. Anfangs fand man Bienen aber nur in natürlichen Hohlräumen, wie etwa in Baumhöhlen. Es waren die Zeidler, die in den Anfangszeiten der Bienen-Nutzung diese Schätze aus den Bäumen bargen.  

Großartig war später die Entdeckung, dass man nur Strohkörbe oder Holzkisten brauchte, um darin Bienen zu halten. Denn die Gewinnung des wundervollen Honigs war damit sehr viel einfacher geworden. Man hatte die sesshaften Höhlenbewohner aus Baumstämmen in mobile Honigfabriken umgesiedelt. 

Von Beginn an bis heute versucht man in der Bienenhaltung unter dem Sammelbegriff „Imkerei“ durch Zuchtauslese, Kreuzung und viele andere Anstrengungen, die Honigbiene immer mehr nach den Idealen unserer menschlichen Vorstellungen zu formen. Das Ziel aller Bemühungen ist die Steigerung des Nutzwertes der Tiere. Der Honigertrag steht hier sicher an vorderer Stelle. Unter dieser vielfältigen menschlichen Einflussnahme ist es also kein Wunder, dass man die Honigbienen gern den Haustieren zuordnet.

Allerdings sollten wir uns die Augen reiben und einen „zweiten Blick“ riskieren. Dann könnten wir wenigstens zwei wichtige Dinge entdecken: 

  1. Honigbienen sind noch immer Wildtiere

Trotz aller menschlicher Beeinflussung sind den Honigbienen wesentliche Wildtier-Eigenschaften erhalten geblieben. Oder anders ausgedrückt: Erst diese Eigenschaften machen sie zu dem für uns so wichtigen Nutztier. Drei dieser Eigenschaften sind unbedingt hervorzuheben.

– Es besteht eine strenge Kopplung des Jahreszyklus der Honigbienen an den Verlauf der Jahreszeiten. Die Vegetationszeit, also die Zeit vom Frühling bis in den Herbst hinein, ist die aktive Zeit des Bienenvolkes, während es die kalte Jahreszeit in einer Ruhephase bei äußerster Sparsamkeit an Energie überdauern muss. Wir Menschen haben absolut keine Möglichkeit, an diesem natürlichen Rhythmus etwas zu ändern.

– Es gilt der einfache Grundsatz: ohne Pollen keine Brut! Dieses pflanzliche Eiweiß ist essenziell für die Bienenbrut, denn der Futtersaft, den die Arbeiterinnen an die Bienenlarven verfüttern, wird in speziellen Futtersaftdrüsen aus Blütenpollen erzeugt. Es gibt keine Möglichkeit den Pollen durch irgendeine Austauschnahrung zu ersetzen. Und das Bienenvolk muss diesen wesentlichen Bestandteil der Nahrung aus der Natur selbst sammeln.

Bild 3: Honigbiene beim Pollen Sammeln an Weide

Ohne Bestäubung gibt es kein Obst.

Dieser Satz klingt ebenfalls sehr einfach. Allerdings verbirgt sich dahinter die sehr zentrale Verflechtung der Honigbiene in der Natur, welche angesichts des leckeren Honigs und anderer Bienenprodukte viel zu oft übergangen wird: Es ist die Bestäubung unserer Obstkulturen, wie auch sehr vieler Wildpflanzen. Dass das so wunderbar funktioniert, verdanken wir hauptsächlich den folgenden Eigenschaften a bis d, die der Organismus eines Bienenvolkes von Natur aus mitbringt – heute genauso wie vor der Zeit der menschlichen Bienenhaltung bzw. Imkerei.

a: Honigbienen überwintern als Staat. Nur bei dieser Insektenart sind schon im zeitigen Frühjahr große Mengen an Tieren vorhanden, die ausfliegen, Nahrung sammeln und Blüten bestäuben können.

b: Honigbienen können durch ein besonderes Informationssystem gezielt die ergiebigsten Nahrungsquellen ausfindig machen und ausbeuten. Diese konzentrierte Futtersuche an riesigen Blütenmengen ist für das Bienenvolk überlebenswichtig, denn es werden große Mengen an Nektar und Pollen im Laufe eines ganzen Jahres gebraucht.

c: Honigbienen transportieren „zufällig“ im Bienenpelz viel Pollen mit sich. In unserer erzgebirgischen Sprache würden wir sagen: „Sie sauen sich bei der Arbeit richtig ein.“ Aber gerade das macht die Sache interessant. Denn wenn sie beim Nektar- oder Pollensammeln eifrig auf den Blüten „arbeiten“, kommt nicht nur immer wieder neuer Pollen in das Bienenhaar. Sie übertragen diesen Pollen auch auf die Narben der nächsten Blüte, wie es kein anderes Insekt so perfekt leisten könnte. Die Bestäubung der unzähligen Blüten, welche für die Nahrungsbeschaffung besucht werden, ist folglich bei jeder einzelnen Blüte inclusive.

Bild 4 Honigbiene beim Sammelflug an Apfelblüten

d: Honigbienen sammeln „blütenstet“. Das bedeutet, dass eine Honigbiene bei einem oder mehreren aufeinander folgenden Sammelflügen nur Blüten einer Art befliegt. Erkennt eine Biene also beispielsweise Apfelblüten als Nahrungsquelle, besammelt sie so lange Apfelblüten, bis die Apfelbäume im Flugkreis des Bienenvolkes verblüht sind. Dies garantiert die ideale Verteilung und Durchmischung des Pollens, also des männlichen Erbgutes, unter den jeweils beflogenen Blüten einer Pflanzenart.

Im Obstanbau wird diese Eigenschaft ganz praktisch genutzt, indem man unter die hauptsächlich angebaute „Ernte-Sorte“ einzelne Bäume der „Bestäuber-Sorte“ pflanzt. Die Bienen übernehmen dann die Aufgabe der Pollenverteilung und -mischung ganz nebenbei.

Zusammenfassend aus diesen vier Eigenschaften könnte man das natürlich vorgegebene Zusammenspiel zwischen Blüte und Honigbiene bei der Bestäubung ohne weiteres mit der Kombination aus Schloss und Schlüssel vergleichen.

  1. Wildtiere brauchen reichhaltige Lebensräume

Dass viele Pflanzen- und Tierarten in ihrem Bestand sehr stark zurückgehen, gefährdet sind oder gar aussterben, hat eine wesentliche Ursache: wir Menschen entziehen und verändern die Lebensräume der Wildtiere! Das trifft die Honigbienen genauso wie andere in Bedrängnis geratene Arten.

Speziell bei den Bienen sehen wir, dass überall dort, wo Acker- und in manchen Gegenden auch Obstbau in der Landschaft dominieren, Honigbienen keinen Lebensraum haben. Es gibt unzählige Berichte von Imkern, die für ihre Bienenvölker im Frühling nur den Raps als Haupttracht kennen. Bis zur Rapsblüte leben die Völker vom Winterfutter, und danach müssen sie erneut ums Überleben bangen, weil die Landschaft keine Blüten als Nahrungsquellen bietet. Selbst in Dörfern oder Städten finden wir häufig nur Vorgärten aus Schotter, ratzekahlen Rasenflächen und neuerdings Mähroboterpisten – welch ein trauriges Spiel.

Bild 5: Rasenfläche im Vorgarten

Und dennoch ist es geradezu ein Paradoxon unserer Zeit, dass wir vor allem vom Sommer bis in den Herbst hinein ausgerechnet in Siedlungsbereichen sehr viel mehr Blüten für unsere heimischen Insekten finden, als in der offenen Acker-Landschaft. Auf Blumenrabatten, Balkonkästen, Brachen und Randflächen, wie etwa in der Nähe von Baustellen, finden Insekten den ganzen Sommer über blühende Pflanzen und gute Pollenversorgung. Dort sehen wir das „offene Tor“ für die immer mehr zunehmende Bienenhaltung in Städten.

Der Idealfall wäre aber, wenn wir neben den gärtnerischen und landwirtschaftlichen Nutzflächen überall artenreiche und blütenbunte Flächen haben könnten. Leider finden wir solch wundervoll blühende Wiesen, wie sie auf dem letzten Bild zu sehen ist, nur noch sehr selten.

Weiterführender Text:

„Können wir etwas für die Bienen tun?“ unter FAQ und Wissenswertes

„Haselnuss – ein Windbestäuber“ unter Wissenswertes

Bild 6: blütenbunte magere Frischwiese im Mittelerzgebirge

Fazit

Honigbienen sind für uns wichtige Nutztiere mit Haus- und Wildtiereigenschaften gleichermaßen. Aber den hohen Wert der Honigbiene verdanken wir in erster Linie den nach wie vor dominierenden Wildtiereigenschaften. 

Bienen brauchen – wie alle Wildtiere – intakte Lebensräume, die für die Bienen vor allem arten- und blütenreiche Pflanzengesellschaften enthalten müssen. Denn nur bei so einem reichhaltigen Nahrungsangebot können sich gesunde und starke Völker des Wildtieres Honigbiene entwickeln und für uns Menschen von großem Nutzen sein.